Einfacher wär's einfacher

aber:

Das Leben ist nicht einfach.

 

 

Was messen wir eigentlich wirklich, wenn wir die Zeit messen?

Oder haben wir Menschen sie anfangs gar nicht gemessen, sondern bestimmt, das heißt sie benannt aufgrund des Stands der Sonne, des Mondes und der Sterne?

Wenn die Sonne morgens aufgeht, dann heißt das: Es beginnt der Morgen. Ob damit auch ein neuer Tag beginnt, wurde unterschiedlich definiert. Denn nach alter jüdischer Übereinkunft (und in Mesopotamien) begann bzw. beginnt der neue Tag mit dem Sonnenuntergang am Abend. Bei uns ist das nur am Heiligen Abend so. So beginnt das Weihnachtsfest ganz entgegen unserer Tradition des Umgangs mit Festtagen sonst.

Der Monat heißt so, weil er sich auf den Stand des Mondes bezieht und normalerweise mit dem Neumond beginnt. Dabei eintsteht das Problem, dass wir unsere Jahre nach dem Lauf der Sonne definieren und beide Kreisläufe nicht hundertprozentig miteinander übereinstimmen. Darum sind zusätzliche Tage nötig und haben die Monate bei uns bekanntlich mal 31, mal 30, oder gar nur 28 oder 29 Tage wie der Februar.

In islamischen Ländern misst man das Jahr allerdings bis heute nach dem Mond. Darum wandert der Fastenmonat Ramadan durch "unser" Jahr und zählen sie mehr Jahre in ihrem Kalender als wir.

Daneben gibt es noch weitere auch heute noch übliche Definitionen, wie lang ein Jahr ist, also neben unserem gregorianischen Kalender.

Bei all unseren Messungen, die wir Menschen vornehmen, ist dies aber auch so, dass wir zuerst einmal definieren müssen, was und wie wir etwas messen. Wir müssen Einheiten festlegen, die wir dann zählen, und das ist bekanntlich auch bei Gewichten und Längenmaßen in den einzelnen Ländern und Kulturen unterschiedlich.

Bei der Zeitmessung und Zeitrechnung im Blick auf das Jahr entsteht allerdings die Frage: Wo fange ich an zu messen und zu zählen. Dies war ein sehr langer Prozess in der Geschichte der Menschheit, bis man sich international darauf geeinigt hatte. → Dazu hier ein Überblick.

Gleichzeitig gibt es die Astronomische Zeitrechnung, die sich, wie der Name sagt, mit noch ganz anderen Dimensionen beschäftigt, als diejenigen, die wir im Alltag benötigen.

Uns reicht in der Regel unsere Uhr und unser Kalender. Wie ist das nun aber mit der Uhr? Auch sie ist eine relativ neue Erfindung.

Sehr alt sind Sonnenuhren, mit denen man sich aber auskennen muss, um genaue Uhrzeiten zu ermitteln und außerdem muss die Sonne scheinen.

Uhren mit Zahnrädern gibt es seit 1335, anfangs nur auf Türmen, für alle gut sichtbar die Ortszeit.

Seit 1835 entstand die Eisenbahnzeit und

seit 1884 die Greenwichzeit, die Einteilung in Zeitzonen. 1972 wurde sie abgelöst durch die UTC, die koordinierte Weltzeit.

Die in Deutschland maßgebende Zeit wird im Bundesphysikalischen Institut in Braunschweig mittels einer Atomuhr ermittelt, die den Zerfall eines Cäsiumsatoms misst.

Was messen wir also, was zählen wir, wenn wir "die Zeit" messen?

Im Unterschied zu anderen Einheiten von Messungen, die von der 26. Generalkonferenz für Maß und Gewicht beschlossen und seit 2019 international gelten, wird die Zeit zwar als Sekunde mit Atomuhren gemessen. Aber wenn sie als die Koordinierte Weltzeit UTC mit der astronomischen Zeit übereinstimmen soll, muss immer mal wieder eine Sekunde dazu geschaltet werden.

Auch gibt es neben diesem "Zeitsystem" u.a. die Universalzeit (UC), die durch astronomische Beobachtungen gewonnen wird.

Außerdem reicht es nicht, dass wir in Deutschland durch die Atomuhr in Braunschweig die genaue Zeit erfahren. Denn: "Die Atomzeiten verschiedener Zeitinstitute werden durch GPS-Zeitvergleiche, inzwischen zunehmend durch Zweiweg Zeit- und Frequenzvergleiche (TWSTFT) verglichen. Die Ergebnisse werden dem Internationalen Büro für Maß und Gewicht (BIPM) übermittelt, das aus ihnen einen gewichteten Durchschnitt bildet, der die Grundlage der Internationalen Atomzeit (TAI) ist, die von der BIPM veröffentlicht wird."- so im Wikipedia-Artikel zur Atomzeit mit Stand vom 13.01.2024.

Wissenschaftler arbeiten bis heute daran, immer genauere Uhren zu entwickeln. Das ist wichtig u.a. für die Raumfahrt, die Seefahrt, die globale Kommunikation. Aber ist der Zerfall eines Atoms die Zeit? Wird nicht Bewegung und Veränderung beobachtet? Die Bewegung des Mondes, der Sonne und eben die von Atomen beim Zerfall. Wir Menschen bestimmen ein konkrete Anzahl der jeweiligen Bewegung und nennen sie Sekunde. Da diese Sekunde dann aber nicht hundertprozentig mit der definierten Anzahl einer anderen Bewegung übereinstimmt, muss man korrigierend eingreifen. Wir stellen unsere Uhr vor oder zurück bzw. ordnen an, dass die entstandene Differenz zwischen den unterschiedlichen Arten, die Zeit zu bestimmen, durch Dazufügung oder Weglassen von Sekunden bis hin zu Tagen ausgegleichen wird, so dass alle Zeitsysteme wieder (scheinbar und nur für eine bestimmte  "Zeit" übereinstimmen.

Damit dürfte die Zeit und mit ihr die Sekunde eine Sonderstellung bei allem haben, was wir Menschen messen und zählen.

In der Physik ist für das Zeitverständnis der 2. Hauptsatz der Wärmelehre zentral. Er gilt für alle Vorgänge, die zeitlich nicht umkehrbar sind. Damit gibt es einen Unterschied von früher und später, wodurch der Zeitpfeil von der Vergangenheit hin zur Gegenwart entsteht und auf Zukunft gerichtet ist.

Schwer verständlich ist für Laien die Maßeinheit der Entropie und dass sie als das Maß der "Unordnung" immer mehr zunehmen soll und so dafür sorgt, dass etwas Unumkehrbares geschieht.

Hier eine ganz kurze Erklärung von "100 Sekunden Physik"

oder etwas länger in Apollins Physik-Universum

oder noch ausführlicher durch Harald Lesch in einer Vorlesung an der LMU und dem dort entstandenen Video 2023.

Dort spricht Harald Lesch ca. ab der 40. Minute davon, dass nicht umkehrbare  (irreversible) Prozesse die Möglichkeit schaffen, dass "Dokumente" über die Vergangenheit angelegt werden. Durch diese "Überreste" aus der Vergangenheit ist es uns Menschen möglich sie zu erforschen und zu rekonstruieren.

Mit unseren Uhren dagegen -  und seien sie die genausten - zählen wir dagegen die unterschiedlichsten Rhythmen, also relativ gleichförmige Bewegungen. In unserem Körper und in anderen Lebewesen, gibt es, wie gesagt, aber die unterschiedlichsten Rhythmen, die durch unser Gehirn und (möglichst durch einen täglichen Spaziergang) bei Tageslicht wieder miteinander harmonisiert werden, wodurch wir u.a. dann gut schlafen können.

Dieselbe Funktion haben im Blick auf unsere Orientierung in der Welt und Gesellschaft die Uhren und jene, die dafür sorgen, dass sie so genau funktionieren und durch Schaltsekunden, - tage, -monate oder -jahre mit den Bewegungen der Erde, der Sonne und des Mondes / des Universums immer mal wieder in Übereinstimmung gebracht werden.

 

Hier etwas zum Im-Rhythmus-Bleiben - scherzhaft und nachdenklich -

von Dirk Klute aus seinem Buch "Neben der Spur" - mit freundlicher Genehmigung

 

Ticken Sie richtig?

 

Ich schon. Nicht tick-tick, sondern zack-zack. Als mich mal eine Pfarrer-Kollegin für einen Tag begleitete, meinte sie, eine Pause sei doch auch mal ganz gut, und sie sprach von „Klutes Stechschritt“. Spiritualität im Halbstundentakt. Den Leuten vom Wert des Augenblicks erzählen - und dabei selbst schon beim nächsten sein.

 

Sie müssen richtig ticken. Beim Tanzen oder Musizieren. Wenn Sie da aus dem Takt geraten, bringen Sie alles durcheinander. Und Sie blamieren sich.

Seit der Industrialisierung ist die Welt ein großer Tanz. Wenn Sie 10 Sekunden zu spät auf dem Bahnsteig sind, ist der Zug weg. Da ist die Bahn dann sehr pünktlich. Übrigens: Erst mit der Erfindung der Eisenbahn gibt es in Deutschland eine einheitliche Uhrzeit. Wegen der Fahrpläne über die Stadtgrenzen hinaus. Heute läuft ohne Funkuhr gar nichts mehr.

 

Und Sie? Ein Rädchen greift ins andere beim großen Uhrwerk. Tick-Tick. In der Arbeitswelt sowieso. Im Privatleben auch? Die Tage vieler Zeit-Genossen sind exakt geschnitten, die Wochen durchgeplant. Und im Jahreslauf: Längst steht fest, wann die Urlaube sind. Auch, was Sie da alles sehen müssen. Und wann.

 

Mach es wie die Sonnenuhr: Zähl' die schönen Stunden nur!“ Sonnenuhren ticken nicht. Die globalisierte Welt schon. Und: Sie tickt immer schneller. Das führt zu einer Überschuldung neuer Art: „Temporalinsolvenz“ nennt man das. Zeit-Bankrott. Das Gefühl, allen Zeit schuldig zu bleiben: den Kindern, dem Partner, dem Arbeitgeber, den Klienten, dem Hobby, dem gesellschaftlichen Engagement, den Freunden, Gott.

Temporalinsolvenz kommt von gefühltem „Zeit-Raub“: Sie sind pleite an Zeit, weil Ihre Mitmenschen, Aufgaben, Pflichten Ihnen „die Zeit stehlen“. Im Gesundheitswesen saugen Momos „graue Herren“ Ihnen gern mittels Dokumentationen, Korrespondenz, Sitzungen die Zeit ab. Wo noch sparen? Die Durchschnitts-Zeit für den Nachtschlaf hat in den letzten Jahrzehnten drastisch abgenommen. Aber ein paar Stunden wären wohl noch zu erübrigen ...

Und die Lebens-Zeit? Immer länger, sagen die einen. Immer kurzatmiger, sagen die anderen. Es gibt Zielvorgaben: „30 Jahre, und ich bin noch nicht fest unter der Haube? Nicht beruflich etabliert? Keine Kinder? Kein Eigenheim? Noch nicht alles erlebt, was man erlebt zu haben hat? - Ich muss verzweifeln!“

 

Die Lebenszeit wird länger, aber die Ewigkeit ist abgeschafft. Ein schlechtes Geschäft. Wie bringe ich eine komplette fehlende Ewigkeit in meinen paar Jahren unter? - Das ist selbst bei 90 Jahren Füllraum eine Herausforderung, deren Ergebnis am Schluss nicht befriedigt. Früher sagte der Volksmund: „Dem Glücklichen schlägt keine Stunde.“ Heute ist die implizite Grundannahme: Nur jenem schlägt keine Stunde, dem das letzte Stündlein schon geschlagen hat. Früher segnete man das Zeitliche, heute verflucht man die atemlose Ereignisdichte – und pflegt sie trotzdem.

Oder propagieren Sie Entschleunigung? Gut so! Und? Wie klappt's? Wenn der Hamster in seinem Rad innehält – schön! Wenn weitere 100 Hamster im Riesen-Hamsterrad mitlaufen, wird der eine, der innehält, auf die Klappe gehen. Man kann eben nicht überall sein eigenes Rad drehen.

Wer aus dem Takt gerät, bekommt Probleme. Sie riskieren es, als „taktlos“ aufzufallen. Oder Sie haben's mit der Psyche: Depressive haben ein verlangsamtes Zeit-Erleben, die Minuten schleichen. Demente sind „zeitlich desorientiert“. Beinahe alle Leute mit psychischen Krankheiten und Krisen haben einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus.

 

Wenn Sie „nicht mehr richtig ticken“, werden Sie früher oder später von Ihren Mit-Tick-Pflichten freigestellt – vom Beruf zuerst, vielleicht auch von Partnerschaft, der Familie, von Freundschaften, vom Verein usw., so dass Sie beim großen Tanz kaum ein Bein mehr an die Erde kriegen. Einmal aus dem Takt geraten, haben Sie plötzlich so viel Zeit, dass Sie sie nicht mehr totgeschlagen bekommen. Erst zu wenig, dann zu viel Zeit. Nie passend. In der Therapie müssen Sie dann mühsam wieder „Tagesstruktur“ lernen.

 

Ticken Sie richtig? Ticken Sie Ihren eigenen Takt? Oder wessen? Ich fände es wohl ganz gut, wenn jeder ein bisschen anders tickt. Das darf sein. Auch wenn sich das Stück dann nicht so super klasse anhört. Oder wenn beim Tanzen jeder jedem mal ein bisschen auf die Füße tritt.

 

Aber so ganz richtig können Sie gar nicht ticken. Sonst hätten Sie nicht dieses Geschreibe ohne konkreten Anwendungsbezug bis zum Ende gelesen, statt Ihre viel zu knappe Zeit effektiv zu nutzen. Also: Was sitzen Sie noch hier rum?

 

 

 

 

 

Wechselwirkungen: